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Predigt über Markus 13, 28-33 am Ewigkeitssonntag (20.11.2022) in der Stadtkirche Böblingen

Predigt am Ewigkeitssonntag 2022

Nun ist es doch noch kalt und dunkel geworden nach einem großen, ungewöhnlich langen Sommer. Noch Anfang November gab es hier im Südwesten Temperaturen um die 20 Grad. Doch die Sonne hat merklich an Kraft verloren. Morgens wird es später hell, Nebel hängt zwischen den Häusern und die Kälte kriecht unter der Türe durch. Es riecht nach Schnee.

Winter is coming. Und mit ihm die Sorgen – gerade in diesem Jahr, im ersten seit vielen Jahrzehnten, in dem wir alle uns Gedanken machen um Heizung und Energie – wo wir nicht wissen, ob es reicht für Licht und Wärme bis ins Frühjahr. Die Stimmung ist düster. Und die Gedanken kreisen um das, was wir verloren haben in diesem Jahr.

Gehen zurück zu den Menschen, die wir loslassen mussten. Zu den Situationen, wo es vielleicht mitten im Sommer schon Winter wurde im Herzen. Wo wir in der Mittagshitze auf dem Friedhof standen, um Abschied zu nehmen und ahnten, wie schwer der Weg der Trauer werden würde, erst recht, wenn der Tod plötzlich kam, ohne Vorwarnung. Wenn das Gespräch mit dem geliebten Menschen plötzlich abreissen musste. Nie wieder miteinander im Garten sitzen. Nie wieder miteinander lachen. Nie wieder die wärmende Berührung spüren, die Hand, die sich auf meine legt, der Kuss zur guten Nacht.

Es ist kalt geworden – mitten im Sommer. Und in dieser Dunkelheit suchen wir nach Zeichen der Hoffnung. Sehnen uns nach einem Wort, das weiterhilft. Fragen nach Trost.

Und hören einen Abschnitt aus dem Markusevangelium. Ganz am Ende, unmittelbar bevor sich sein irdisches Schicksal erfüllt, redet Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden. Will sie vorbereiten auf das, was kommt – sein Leiden und seinen Tod. Und seine Auferstehung. Er spricht:

An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Ebenso auch, wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist.
Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.
Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

Noch einmal spricht Jesus von Gottes neuer Welt. So wie in den ersten Tagen, als sie sich begegnet sind. Als er auf einmal in ihrem Leben aufgetaucht ist, in dem von Simon und Andreas, Johannes und Zachäus und Lazarus, und in dem von Maria und Martha, Salome und Magdalena. Als er sie bezaubert hat mit Bildern von Frieden und Gerechtigkeit. Als plötzlich alles so klar und schön war. Als sie miteinander durchs Land gezogen sind, voller Hoffnung und Mut. Lachend abends zusammensaßen, diskutierten, feierten und sich ganz leicht fühlten an warmen Sommerabenden. Viele Dinge sind passiert, an die sie sich erinnern werden. Begegnungen, Wunder, unglaubliche Ereignisse. Und Alltag. Viel gemeinsamer Alltag mit Gewohnheiten und Marotten, mit Neckereien und manchmal auch Streit.

Die vielen Kleinigkeiten, die im Nachhinein wichtig werden. Gemeinsam haben wir uns daran erinnert, wenn wir zusammensaßen und von unseren Toten erzählten. Der Garten, der ihr Steckenpferd gewesen war. Die Reisen in die Berge oder ans Meer. Die Zeit im Ausland und die vielen Andenken an ferne Länder. Der weltbeste Kartoffelsalat. Seine pedantische Pünktlichkeit. Ihre bunten Schals und der Friseurbesuch jede Woche. Musik aus der Jukebox und der selbstgemauerte Feuerplatz, wo man an langen Sommerabenden grillte. Nervige Diskussionen um Hausaufgaben – wie lang ist das her! Die Sorgen in Krankheitszeiten. Der Schmerz über den Tod des einzigen Kindes. Das Heimweh nach Kasachstan und der vergebliche Kampf gegen eine Sucht. Verlieren und wiederfinden. Und die Sehnsucht nach Himmel.

Und selbst wenn der Tod als Freund kam, bleibt eine Lücke. Wird jetzt noch stärker zu spüren sein, wenn es auf Weihnachten zugeht. Wenn zum ersten Mal der eine Platz frei bleibt – der eine Besuch nicht mehr stattfinden kann. Es wird nie mehr sein wie früher. Und doch soll es wieder gut werden. Und trotzdem hoffen wir auf den neuen Himmel und die neue Erde, hoffen darauf, dass diese Welt mit ihren dunklen Zeiten vergeht.

Hoffen es erst recht für die Menschen in der Ukraine. 10 Millionen sind seit dieser Woche ohne Strom und Heizung, während in Katar die Klimaanlagen in den Stadien der WM die Wüstenhitze herunterkühlen. Hoffen auch für die, die in diesem Krieg Männer, Väter, Brüder verloren haben – und Schwestern, Frauen und Töchter auch. Hoffen, dass Friede wird. Dass die Frauen im Iran und in Afghanistan frei entscheiden können, wie sie leben wollen und wie sie sich kleiden. Dass die Kinder in Burkina Faso einen sicheren Weg zur Schule haben und Reis und Mangos und vieles mehr. Dass sich der blaue Himmel wieder über wogende Getreidefelder wölbt, dass alle satt werden und glücklich. Aber wann? Wie lange wird es noch dunkel bleiben?

Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand. Sagt Jesus. Nicht einmal er weiß es. Und rät: Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

Und seitdem warten sie. Warten wir darauf, dass er wiederkommt und diese Welt erlöst. Versuchen, die Zeichen zu lesen und die Hinweise zu verstehen. Die kleinen Signale, dass es Sommer wird. Am besten jetzt schon, mitten im Winter.

An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Sagt Jesus wenige Tage vor seinem Tod. Im Frühjahr war das. Zum Pessach. Und als er vierzig Tage nach Ostern wieder von ihnen wegging, da war es tatsächlich soweit, da konnten sie die ersten Feigen ernten. Wir erinnern uns, was dann geschah. Wie sich die Apostel ein Herz fassten und einen neuen Aufbruch wagten. Und wie dann der Himmel aufging und Gottes Geist über sie kam. Wie es Sommer wurde trotz der Trauer über den Abschied. Und wie sie die Hoffnung auf Gottes Reich, auf die kommende Friedenswelt hinausgetragen haben aus dem bergenden Schutz ihrer Häuser auf die Plätze und Straßen, erst in Jerusalem und später in alle Welt.

Bis hierher. Bis nach Böblingen, wo über der Tür der Friedhofskapelle goldene Buchstaben daran erinnern: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ Es wird gut werden. Die Bäume werden wieder austreiben und die Blumen ihre Köpfe aus der Erde schieben. Und davon erzählen, dass das Leben stärker ist als der Tod.

Deshalb stellen wir in diesen dunklen Tagen Kerzen auf die Gräber unserer Lieben. Bringen frisches Grün und Christrosen. Und lassen uns von der Erinnerung an sie das Herz wärmen, während wir nach den Zeichen Ausschau halten, die den Sommer ankündigen.

In meinem Garten gibt es keinen Feigenbaum. Die sind hier ohnehin sehr selten, genau wie die Mandelbäume. Aber in 14 Tagen, am 4. Dezember, da werde ich hinausgehen und ein paar Zweige vom Haselstrauch schneiden und sie in der Wohnung an einem warmen Platz in eine Vase mit frischem Wasser stellen. Und warten.

Und sie beobachten, die „Barbarazweige“, die so heißen, weil eine Legende den Brauch begründet hat. Und nach einer Woche werde ich schon etwas sehen von dem neuen Leben, das aus ihnen herausbricht, wenn die Zweige saftig werden. Erst kleine grüne Spitzen, dann Blätter und schließlich Blüten. So etwa drei Wochen wird es dauern. Und dann ist Weihnachten.

Ist Wintersonnenwende. Kommt Gottes Licht zur Welt.

Die Tage werden heller. Und mit ihnen die Hoffnung auf Gottes neue Welt. Auf Leben und Lachen und Licht. Dass wahr wird, was die Engel singen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Bald ist es soweit. Wir wissen nicht, wann. Aber wir passen auf. Suchen die Spuren von Gottes Sommer mitten in der Dunkelheit. Und lassen uns von seinem Licht finden. Amen.